Sola Fide - Allein durch Glauben
Pfarrer Thomas Schmidt
Liebe Gemeinde!
Unser heutiges Thema „sola fide“ - Allein durch Glauben“ will ich von drei Seiten beleuchten.
Eine Geschichte führt zum Verhältnis von Glaube und Vernunft.
Von Martin Luther lernen wir, dass uns allein der Glaube an Jesus Christus vor Gott recht macht.
Und dann kommt Paulus zu Wort, der erklärt, wie der Glaube entsteht.
Zunächst also eine Geschichte:
Der Glaube und die Berge
Am Anfang versetzte der Glaube nur dann Berge, wenn es unbedingt nötig war, so dass die Landschaft jahrtausendelang unverändert blieb. Als sich der Glaube aber zu verbreiten begann und die Menschen Gefallen an dem Gedanken fanden, Berge zu versetzen, machten diese nichts anderes mehr als sie hin und her zu rücken, und jedesmal wurde es schwieriger, sie an dem Ort wieder zu finden, an dem man sie iii der Nacht davor gelassen hatte, ein Umstand, der natürlich mehr Probleme schuf als löste. Die guten Menschen zogen es deshalb vor, den Glauben aufzugeben, und jetzt bleiben die Berge normalerweise auf ihrem Platz stehen. Wenn es auf der Straße zu einem Erdrutsch kommt, dem ein paar Reisende zum Opfer fallen, so liegt das daran, dass irgend jemand, nah oder fern, noch einen Rest Glauben hatte. (Augusto Monterroso)
Diese Geschichte erinnert an ein Bibelwort aus dem Matthäusevangelium, dass Glaube Berge versetzen kann. Man fragt sich, ist das eine ironische Auslegung dieser Bibelstelle oder ironisiert die Geschichte vielmehr den Kleinglauben der Christen. Auch versteckt sich da eine interessante Behauptung: Der Glaube sei gefährlich. Stimmt das? Kann Glaube gefährlich sein? Was ist eigentlich mit Glauben gemeint?
Zunächst einmal geht es wohl darum Missverständnisse auszuräumen.
Ein weit verbreitetes Missverständnis hinsichtlich des Glaubens ist, dass sich mit naturwissenschaftlichen Methoden alle Fragen beantworten ließen, auch Glaubensfragen. Man meint, dass Glaubenswissen vergleichbar mit dem empirischen Wissen von Tatsachen sei und sich daher auch mit den Kriterien der Naturwissenschaft beurteilen oder gar verwerfen lassen müsse.
Ein Beispiel: Die religiöse Aussage „Gott hat die Welt geschaffen“ - so wird angenommen - sei vergleichbar mit einem alltagssprachlichen Satz wie etwa mit „Helga hat diesen Kuchen gebacken“, oder eine Aussage wie „Gott ist groß“ sei so zu verstehen wie „Friedrich, der in der Nachbarschaft wohnt, ist 1,92 m groß“.
Religiöse Sätze haben jedoch eine grundsätzlich andere Logik als geläufige Tatsachenbehauptungen, die man ja normalerweise in der Tat mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen kann.
Dies hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein deutlich gezeigt. Er machte in einer Vorlesung über Religion auf den Unterschied zwischen religiösen und sonstigen Äußerungen aufmerksam und stellte fest: „Religiöse Äußerungen können nicht im Sinne von Behauptungen über Tatsachen aufgefasst werden. Sie sind weder mit Wissensaussagen noch mit Hypothesen oder Wahrscheinlichkeitsurteilen, aber auch nicht mit historischen und empirischen Sätzen gleichzusetzen.“
Offenkundig also ist Glaube falsch verstanden, wenn man ihn als „Für-wahr-Halten“ von bestimmten Dingen versteht. Er bezieht sich nicht auf Einzelsachverhalte unserer Erfahrungswelt, wie beispielsweise die Frage, ob Kühe Wiederkäuer sind oder nicht; und es geht in ihm auch nicht um einzelne Fragen zu unserer Welt als Ganzer wie etwa der, ob die Erde in sechs Tagen oder sechs Millionen Jahren entstanden ist.
Glaube ist vielmehr ein bestimmter „Lebensvollzug“, eine bestimmte Art zu leben, eine bestimmte Haltung zu den Dingen und zur Welt.
Christen sind nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie Aussagesätze für wahr halten, die andere bestreiten, weil sie sie einfach nicht glauben können, sondern sie zeichnen sich dadurch aus, „dass sie an einem bestimmten Lebensvollzug teilnehmen, der ihrem ganzen Leben eine bestimmte Richtung gibt.“1 Mit dem Glauben ist eine bestimmte Form der Wahrnehmung der Welt und des Verhaltens in und zur Welt bezeichnet.
Ich denke, die Unterscheidung von Glaubensaussagen und allgemeinen Aussagen ist hilfreich. Macht sie doch deutlich wie groß der Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Sprache ist.
Und nun zu Martin Luther: Er redet, wenn er vom Glauben redet, vom Glauben an Jesus Christus. Das heißt: er redet vom Inhalt des Glaubens. Für ihn ist dieser Inhalt nicht eine Lehre. Dieser Inhalt ist in erster Linie eine Person - der Mensch Jesus, Sohn Gottes.
Luther legt besonderen Wert darauf, vom Inhalt des Glaubens zu sprechen, weil er weiß und es wohl auch selbst erfahren hat: nicht jeder x-beliebige Glaube bringt einen Gott nahe, nicht jeder x-beliebige Glaube ist heilbringend, sondern nur der Glaube an Jesus.
Der Glaube an Jesus Christus wirkt sich für ihn nicht nur aus auf die Arbeit und die Beziehungen, in denen die Menschen leben. Das Heilbringende des christlichen Glaubens besteht auch darin, dass Menschen nicht nur in ihren Aktivitäten Sinn finden, sondern ihr Leben ganz grundsätzlich als sinnvoll empfinden können, ohne sich auf Leistungen und Erfolge beziehen zu müssen. Glaube, der sich an Jesus Christus bindet, bezieht auch die Dunkelheiten, die Menschen erleben, in den Sinn des Lebens ein. Solcher Glauben ist lebensnotwendig für Menschen, weil er ihnen Gott nahe bringt.
Dabei stellt Martin Luther fest: „Der Glaube ist nicht eine leichte Kunst, sondern ein hoch trefflich Ding, daran ein Mensch hunderttausend Jahre zu lernen hätte, wenn er so lange lebte.“2
Bei seinem Nachdenken über den Glauben bezieht sich Luther immer wieder auf die Bibel und besonders auf den Römerbrief, der nun hier auch zu Wort kommen soll.
Paulus schreibt an die Römer in Kapitel 10,9-17:
9Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.11Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5).
14Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17Sokommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Paulus spricht vom lebensnotwendigen Glauben an Jesus, dass er aus dem Hören kommt, Gemeinschaft braucht und gelebt werden will. So wie er es beschreibt, spielen drei Organe dabei eine wichtige Rolle: das Herz, der Mund, das Ohr. Aus dem Hören kommt der Glaube. Er reicht ins Herz. Und wes' das Herz voll ist, dem geht der Mund über.
Man kann den Gedanken von Paulus nachvollziehen: Da ist das Herz als Mitte des Menschen, als Zentrum seiner Innenwelt, seines Lebens. Da ist der Mund als Stimme des Herzens, im Guten und Bösen. Damit können wir ausdrücken, was in uns ist. Und da ist schließlich das Ohr: es verbindet Herz und Mund miteinander. Innen und außen finden zueinander übers Ohr.
Es ist ja so: in unserer Familie und im Freundeskreis leben wir davon, dass wir einander intensiv zuhören, uns ineinander hinein hören. Beim Hören sind wir beim andern und ganz bei uns selbst. Worte verbinden - auch hier, jetzt in diesem Gottesdienst.
Natürlich ist es nicht immer einfach zuzuhören und auch bei mancher Predigt mag es schwerfallen, alles genau mitzubekommen. Wie gut, dass der Glaube, der aus dem Hören kommt, nicht nur auf die Predigt im Gottesdienst beschränkt ist! Glaube kann auch entstehen bei einer Unterhaltung, beim Lesen eines Buches, beim Hören eines Chorals. Glaube kann entstehen durch ein Erlebnis, durch einen Traum, und vor allem wohl durch die Begegnung mit religiösen, glaubenden Menschen. So viele Möglichkeiten es gibt, dass Glaube entstehen kann, so viele Möglichkeiten gibt es, den Glauben zu leben und zu bekennen.
Richtschnur für evangelische Christen ist Luthers Lehre von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott: Der Mensch kann allein durch Gottes Gnade (sola gratia) vor Gott bestehen. Er kann es nicht durch eigene Verdienste oder Erfolge. Er erfährt dies allein im Glauben (sola fide). Der Grund seiner Errettung ist allein Christus (solus christus). Verbindlich für den Glauben ist allein die Bibel (sola scriptura).
So verhilft der Glaube an die Verheißung von Gottes Gnade zum aufrechten Gang und dazu, dass man den Geschehnissen dieser Welt mit einer bestimmten Haltung begegnet.
Amen.
1(vgl. Prof. Dr. Michael Roth, Gott braucht kein Sühnopfer, aber die Kirche gute Pfarrer und Pfarrerinnen, Deutsches Pfarrerblatt 6/2013)
2 Martin Luther, Predigt am Neunten Sonntag nach Trinitatis, Lk. 16,1ff, 5. Oktober 1529